Zigenaren 1 – 2

 

Broschüre, 1968, 52 Seiten 

Herausgeberinnen: Katarina Taikon, Rosa Taikon,

Bernd Janusch und Björn Langhammer

 

Katarina Taikon forderte die Anerkennung der Rechte von Sinti und Roma in Schweden, sie diskutierte und stritt furchtlos mit führenden Politiker_innen. Inspiriert von der damaligen US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung engagierte Taikon sich für den Kampf um Menschenrechte. Ihr Ansatz war säkular und inklusiv, und so setzte sie sich nicht nur für ihre eigene Gemeinschaft ein, sondern bildete Allianzen mit anderen Gruppierungen jenseits der Roma-Communitys. 1964 gründete Taikon zusammen mit dem Publizisten Evert Kumm und dem Arzt John Takman die Roma-Organisation Zigenar samfundet. In den Jahren 1965 bis 1973 brachte Zigenar samfundet eine Zeitschrift namens Zigenaren: Amé Beschas heraus, von denen wir keine gefunden haben.

 

Aus dem Vorwort: "Dieses Nummer mag wie ein bissiges und sinnloses Zerreißen, Kratzen und Treten in der politischen Suppe erscheinen und wahrscheinlich ist es das auch. Unser Ziel, auch wenn es so erscheinen mag, war es nicht, Granatenwerfen auf unsere pompös lächelnden Politiker zu üben. Wir sind einfach so müde und verzweifelt.

Unsere schwedischen Regierungsmitglieder und die Vorstandsmitglieder unserer Organisationen verbergen so oft den Mangel an Ideologie und menschlichem Denken, der so oft ihr Handeln und ihre Entscheidungen bestimmt, hinter Argumenten wie: Ja, aber was würden die schwedischen Arbeiter Ihrer Meinung nach sagen, wenn wir anders handeln würden? „Der schwedische Arbeiter erscheint nicht nur einfach und grausam, sondern auch unglaublich dumm. (Sic! Sätzer. Anm.)

Meistens sind es Vertreter der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften und der Regierungspartei, die uns dieses seltsame Bild vermittelt haben. Wir wollen es nicht glauben! Trotzdem wird der schwedische Arbeiter als Bedrohung für uns benutzt. So wie man mit dem Schornsteinfeger Kinder erschreckt.

Wir können Millionen von Arbeitnehmern und Bürgern nicht erreichen, wenn wir Unterstützung und Loyalität für unsere Bestrebungen suchen. Wir müssen uns an einzelne Vertreter und den Vorstand wenden

Mitglieder der Organisationen, die sich in den meisten Fällen negativ entschuldigen und den schwedischen Arbeiter erwähnen, während sie unserer Arbeit für die Sache der "Zigeuner" gratulieren. Vergeblich haben wir versucht zu erklären, dass es nicht die Sache der "Zigeuner" ist, sondern die Sache aller Bürger. Es geht um die Rechte aller Bürger. Nicht um Privilegien für die "Zigeuner".

Als schwedische Bürger fordern wir, dass sie wie die anderen Bürger Schwedens nicht besser oder schlechter leben.

Wir fordern Bildung als Bürger, nicht als "Zigeuner". Und wir fordern, dass die Arbeitsplätze so differenziert sind wie die anderer Bürger.

Und wir fordern rechtlichen Schutz vor Missbrauch, wie andere Bürger auch, und wir fordern, dass die Generationen von "Zigeunern", die ohne Wohnung, Schule aufgewachsen sind und ständigen Misshandlungen ausgesetzt waren.

Maßnahmen und Verfolgungen durch Staat und Kommune müssen kompensiert und rehabilitiert werden.

Wir können nicht feststellen, dass dies eine schamlose Behauptung ist. Und doch wird uns gesagt, dass die meisten Dinge unmöglich sind, weil der schwedische Arbeiter protestieren würde!

Gleiches gilt für die Flüchtlingsfrage. Wir fordern keine Privilegierung von "Zigeunerflüchtlingen", sondern nur, dass sie wie andere Flüchtlinge aufgenommen werden. Doch die schwedische Regierung weigert sich entgegen aller Konventionen, "Zigeunerflüchtlinge" anzuerkennen. Wir nennen das Rassismus. Aber ist es der Rassismus der Regierung, der Gewerkschaftsführer und anderer Organisationsführer oder des Volkes, der Arbeiter?

Wir haben mit dieser Ausgabe von ZIGENAREN versucht, eine Antwort zu provozieren, ein verzweifeltes Entweder-oder.  

PS. Trauen wir uns, auf eine Stelle zu hoffen?"


Zigenaren

 

Broschüre 1972,

Herausgeberinnen: Katarina Taikon, Rosa Taikon,

Bernd Janusch, Björn Langhammer, Illustrationen Björn Hedlund

 

In dieser letzten Ausgabe des Zigenaren, Jahrgang 8 im Jahr 1972, erklärt die Redaktion, dass wegen der Schließung der Zeitung keine Abonnements mehr eingehen. Mit folgendem Text erläutert der Herausgeberin die Entscheidung:

"Am 29. Juli 1932 überlebte ich meine Geburt. Mein Vater hatte es geschafft, die örtliche Stadtverwaltung in Almby davon zu überzeugen, seinen Teil der landesweiten Jagd nach meiner Familie zumindest für die Dauer der Geburt einzustellen. Meinem Vater, Johan Taikon, gelang es jedoch nicht, die Behörden davon zu überzeugen, in seiner erhabenen Gnade so weit zu gehen, einen Platz in der Entbindungsstation des Krankenhauses zu bekommen.

Um den schwedischen "Zigeunern" das Leben so unerträglich zu machen, dass sie vor dem Aussterben aus dem Land flohen, zwangen die Behörden meine schwer an Tuberkulose erkrankte Mutter, sich unter ekelhaften Bedingungen im Wald zu entbinden. Die Behörden setzten die Verfolgung meiner Familie fort und wir wurden wieder über die Landstraßen gejagt.

Der unermüdliche Kampf der schwedischen Behörden wurde schließlich von einigen Erfolgen gekrönt. Meine Mutter starb neun Monate nach meiner Geburt, nicht ganz dreißig Jahre alt, was ziemlich genau dem statistischen Durchschnitt dafür entsprach, wie lange ein "Zigeuner" in Schweden am Leben bleibt. (Dies sollte beweisen, dass die geringe Lebenserwartung nicht von der Rassenzugehörigkeit bestimmt wurde, da meine Mutter Schwedin, aber "Zigeunerin" war.

Die schwedischen Behörden empfanden die schwedischen "Zigeuner" als Bedrohung für den Fortbestand des Staates. Diese "Bedrohung" von vierhundertfünfzig Minderjährigen, zweihundert jungen Leuten, dreißig mittleren und zehn älteren, alles Schweden, wurde so stark erlebt, dass es 1920 zwei sozialdemokratischen Übungsleitern gelang, einen einstimmigen Riksdag dazu zu bringen, einem Antrag auf rassenbiologisches Institut. Ihre Aufgabe wäre es, der Entartung entgegenzuwirken, die das schwedische Volk bedrohte, wenn dieses aus guten Rassen zusammengesetzte Volk beispielsweise mit "Schwarzen" oder 2Zigeunern" vermischt würde.Führende Abgeordnete aller Parteien unterzeichneten den Antrag, darunter auch Hjalmar Branting.

So wuchs ich als schwedischer Staatsbürger auf und bekam gemäß der Ideologie der verschiedenen Regierungen alle Bürgerrechte verweigert, wie auch den anderen Einwohnern Schwedens mit "Zigeunerstämmen", dh keine Lebensmittelkarten (während der Bezugsfrist, kein Essen), keine Unterkunft, keine Schulbildung und wurde von Ort zu Ort deportiert und natürlich alle Sozialleistungen verweigert, mit Ausnahme von Alkohol (wir bekamen Zählerbücher!).

Mit 26 Jahren konnte ich die Ergebnisse der Bemühungen der schwedischen Behörden zusammenfassen, ich war ein erwachsener Analphabet, also völlig angepasst, wenn man davon absieht, dass ich überlebt habe. Aber ich war damit nicht zufrieden und versuchte, die Behörden davon zu überzeugen, mir das Lesen beizubringen. Aber sie ließen sich nicht täuschen. Sie sagten mir, dass ich, wie die "Zigeuner" im Allgemeinen, nicht erziehbar sei.

Allerdings war ich nicht wirklich überzeugt. Ich hatte gehört, dass Sonja Kovalevska trotz ihres "Zigeunerhintergrunds" eine Stelle als Mathematikprofessorin an der Universität Stockholm bekommen hat. Aber natürlich hatte sie ihre Ausbildung in Schweden nicht erhalten und auch ihre Herkunft war nicht bekannt. Aber ich nutzte die Chance und schaffte es mit Hilfe des Direktors von Birkagårdens Folkhögskola, Lennart Seth , die Behörden zu zwingen, mir zwei Jahre Schule zu geben.

Es war 1958. Seitdem habe ich einige Bücher und Artikel in verschiedenen Zeitschriften geschrieben und die Zeitschrift ("Zigenaren" ) herausgegeben und unzählige Vorträge in ganz Schweden gehalten sowie im Radio und Fernsehen aufgetreten. Alles in der Hoffnung, das schwedische Volk und die schwedische Regierung schließlich davon überzeugen zu können, dass Schwedens "Zigeunerkinder" nicht die Absicht haben, Schweden zu zerstören oder dass die etwa 5.000 "Zigeunerflüchtlinge" in Westeuropa Schweden einer Bevölkerungsexplosion aussetzen wollen. Hätte ich dann die Regierung und die schwedische Einwanderungsbehörde davon überzeugen können, das schwedische Asylrecht auch auf Flüchtlinge mit "Zigeuner"-Ursprung anzuwenden, wäre dies meiner Meinung nach ein Zeichen dafür gewesen, dass Schweden seine ersten atemberaubenden Schritte aus dem Aberglauben des Mittelalter gemacht hat.

Ehrlich gesagt habe ich keine Hoffnung auf Erfolg und widme mich deshalb jetzt mehr und mehr dem Schreiben für Kinder in der Hoffnung, dass sie noch nicht den Vorurteilen der älteren Generationen zum Opfer gefallen sind. Und deshalb habe ich bzw. wir die Zeitschrift Zigenaren geschlossen, die neben finanziellen Schwierigkeiten auch mit einem immer engmaschigeren Gag zu kämpfen hatte. Nicht in unserer eigenen Redaktion, sondern in anderen Redaktionen verschiedener Medien, an die sich unsere Zeitung in der Hoffnung auf eine größere Verbreitung der UN-Menschenrechtserklärung und ihrer mangelnden Anwendung auf die "Zigeuner" wandte.

Die immer strengere Kontrolle vor allem des Fernsehens durch die Regierungspartei hat die Erklärung zum Hohn gemacht. Das Fernsehen ist zu einem Propagandainstrument der sozialdemokratischen Parteiführung geworden. Verbreitung von Vorurteilen, Spaltung und Dummheit sind die Waffen, mit denen sie ihre persönlichen Machtpositionen stärken. Die Zeitschrift Zigenaren kann daher bei ihren Bemühungen keinen Erfolg erwarten. Wir erkennen uns geschlagen. Die Regierung und Schwedens Radio und Fernsehen haben gewonnen. Der Mensch und die Meinungsfreiheit haben verloren. Aber wir von der Redaktion werden unsere Arbeit in anderer Form fortsetzen. DER "Zigeuner" ist tot, aber der Kampf geht weiter.

 

Katarina Taikon